Oxana Matiychuk

Oxana Matiychuk

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Vita

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Dr. Oxana Matiychuk (geb. 1977) studierte Germanistik und Ukrainistik an der Jurij-Fedkowytsch-Universität in Tscherniwzi. Von 1998 bis 2002 arbeitete sie in der Österreich-Bibliothek im Bukowina-Zentrum an der Universität. Sie war mehrfach Stipendiatin der Robert Bosch Stiftung, des DAAD und des Programms Erasmus Mundus. Seit 2005 arbeitet sie im International Office der Universität Tscherniwzi, seit Juli 2022 ist sie dort stellvertretende Leiterin. Sie lehrt am Lehrstuhl für ausländische Literaturgeschichte und Literaturtheorie. Oxana Matiychuk promovierte 2010 zum Thema „Genese des poetischen Textes im Werk von Rose Ausländer“ am Taras-Schewtschenko-Institut für Literatur an der Akademie der Wissenschaften der Ukraine in Kyiv.

 

Projekt: „Mehrsprachigkeit in der Bukowina: Historischer Abriss und die gegenwärtige Situation“

In Bezug auf die Sprachsituation im historischen Land Bukowina geht man generell von einem Mehrsprachigkeitsparadigma aus. Die Sprachenkonstellation und die sprachenrechtlichen Rahmenbedingungen veränderten sich allerdings nach jedem Machtwechsel, den die Bukowina erfuhr. Die Zeit vor 1918 ist durch eine besondere Komplexität der sprachlichen Verhältnisse im östlichsten Kronland der Donaumonarchie gekennzeichnet. Die bis 1774 in der Bukowina nicht fungierende deutsche Sprache wurde nach der Übernahme der Bukowina durch Österreich zur Landessprache, Rumänisch und Ukrainisch (Ruthenisch) als die Sprachen der größten autochthonen Volksgruppen hatten den Status der Amtssprachen. Die stetige Bevölkerungszunahme, die dem Anschluss folgte, bedeutete auch die „Zuwanderung“ neuer Sprachen. In der Zwischenkriegszeit (1919-1940) wurde die Bukowina Teil des Königreichs Rumänien. Es folgten zwei Jahrzehnte starker Rumänisierung, wobei Deutsch seinen Status als Bildungssprache, sein internes Prestige weitgehend behielt. Andere Sprachen konnten dem Druck der rigorosen Sprachpolitik unterschiedlich standhalten. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges bedeuteten einen grundlegenden Wandel in der politischen, ethnischen und demographischen Zusammensetzung der Bevölkerung und damit in der Sprachkonstellation. Während die Nordbukowina der Ukrainischen SSR angegliedert wurde, blieb die Südbukowina Bestandteil Rumäniens. In der sowjetischen Bukowina erlangte Russisch, wie in allen anderen Regionen der Sowjetunion, eine absolute Vorrangstellung und galt als Prestigesprache. Hier wurde jedoch bis in die 80er viel Jiddisch und in den ländlichen Gegenden Ukrainisch und Rumänisch gesprochen. Im südlichen Teil fand allmählich die Sprachhomogenisierung zum Rumänischen statt. Nach 1991 behielt die russische Sprache im Oblast Tscherniwzi – anders als bspw. in der Nachbarregion Galizien – noch lange ihre dominante Stellung in fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Das Bildungswesen wurde sukzessive auf Ukrainisch umgestellt. Im Allgemeinen kann die Sprachsituation als Koexistenz von drei meistgesprochenen Sprachen – dem Ukrainischen, Rumänischen und Russischen bezeichnet werden, wobei individuelle Sprachkompetenzen unterschiedlich ausgestaltet und von diversen Faktoren (Herkunft, Alter, Sozialisation, Bildung, ortsspezifische Sprachumgebung u.a.m.) abhängig sind. Kriegsbedingt wurde die Region zum temporären oder dauerhaften neuen Zuhause für viele IDPs (Internally Displaced Persons, geschätzte Anzahl ca. 60.000, Stand Juli 2023), die Mehrheit von ihnen sind russische Muttersprachler. Es ist jedoch kaum zu erwarten, dass die Bedeutung des Russischen – außer zeitweise als Umgangssprache – steigen würde – aufgrund des Angriffskrieges Russlands finden zurzeit komplexe Prozesse der Identitäts(neu)findung statt, die Rolle der neuzeitigen „Muttersprache als Mördersprache“ wird zumindest von Intellektuellen reflektiert und kritisch angegangen.