Donbas jenseits politischer Mythen – Überdenken der Verflechtungsgeschichte einer europäischen Frontier-Landschaft bis zum Kollaps in der Zeitschleife separatistischer Gewaltexzesse vor dem Hintergrund des russländischen Angriffskriegs gegen Ukraine seit 2014
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Elen Budinova

Das Projekt bietet eine Zeitreise in der Palimpsest-Chronik von Donneččyna und Luhanščyna. Diese ‘Ostperipherie’ am Steppenfrontier Europas behauptet sich als historisches Zentrum diverser Kulturverflechtungen, Flucht- Migration-, Industrie- und Handelswege, polyethnischer Kontaktzonen, Religionen, (a)synchroner Alltagspraktiken und imperialer Vermächtnisse, aber auch brutaler Hegemoniekämpfe, Machtasymmetrien, epistemischer Gewaltakten, Identitäts- und Gedächtnisanfechtungen sowie durch Paradigma wie Modernisierung, Internationalismus, klassenlose Gesellschaft selbstlegitimierter sozialmanipulativer Willkür. Die Studie skizziert nuancierte Erfahrungspaletten als untrennbar von der inklusiv-demotischen Nationsbildung der Ukraine. Polyphone marginalisierte Erinnerungen rücken in den Vordergrund gegen imperiale kolonial-extractivistische Deutungsmuster, die den von Geologie zur Geopolitik transferierten Begriff Donbas(s) (Kurzwort aus Donez‘-Bergbaubecken), semantisch belasten und Klischees wie ‘altindustrielles Herzstück’ und ‘russländische Hochburg’ untermauern. Der rote Faden unterstreicht den Kontrast zwischen Geschichte und russländisch-irredentistischer politischer Manipulation, die folgende Mythen als Diskurswaffen propagiert: das flüchtige ‘Novorossija’-Konzept aus dem Zarenreich-Expansionsvokabular mit altgriechische Pracht, Erstsiedlerstatus und orthodoxe ‘Drittes Rom’-Zivilisierungsmission imitierendem Anspruch; die ephemere Staatlichkeit der etwa zweimonatigen 1918’Papierexistenz der Sozialistischen Sowjetrepublik Donets’k-Kryvyĭ Rih als Bolschewistische Sezession-‘Spezialoperation’ gegen ukrainische Emanzipation; die Antemurale- und Martyrium-Matrix des ‘Großen Vaterländischen Krieges’ anhand gegenwärtiger Projektion alter Feindbilder, Kollektiv-Traumata und aufgebauschtes Heldentums; sui generis auf das sowjetische ‘Goldene Zeitalter’ anspielende Zerrvisionen von Donbas als ‘Industriearterie’ und ‘Arbeitertraumland’ in Form kognitiver Eskapaden von der anomischen ‘Rostgürtel’-Realität unter klientilistisch-oligarchischem Gewaltmonopol von Lokaleliten und post-2014’ Humanitär-Krise während russländischer Okkupation; den Mythomoteur der ‘ostslawischen Dreieinigkeit’ und russländischer Ethnogenese-Suprematie mit dem ‘Große-Lüge’-Auftrag, diese heilige Allianz vor ‘ausländischen Intrigen’ des kollektiven Westens und ukrainischem Ultranationalismus zu ‘beschützen’. Aufbauend auf die historische Synthese, liefert der zweite Arbeitsschritt eine Mehrebenen-Kontextanalyse von postsowjetischer Destabilisierung, wobei sowohl interne als auch exogene Faktoren hinter dem 2014’ Zeitkollaps im Limbo eines langwierigen Krieges in Abwägung treten. Entgegen der ‘Bürgerkonflikt’-Hypothese bestreitet die Studie Argumente, die Identitätsspaltungen, sozio-ökonomische Mobilisierung, Staatsversagen/Repression seitens der Ukraine und historisch programmierten Separatismus als kausalstiftend vorbringen. Arbeitsergebnisse begründen die Schlüsselrolle Russlands als zentrale Triebkraft durch: Umwälzungsversuche im gesamten Südosten der Ukraine; Einmärsche von Armeekorps und Paramilitärs; Infokriegstaktiken, Schwerwaffenlieferungen; Indoktrination, Unterhalt und Kontrolle russländischer, lokaler, und transregionale Konfliktentrepreneure, samt ideologischer Radikale, Verbrechergangs und Sozialmarginale; grenzüberschreitenden Beschuss sowie langfristige institutionelle Infiltration, geoökonomische Erpressung, missbrauchte Geheimdienst-Schlupflöchern und anti-ukrainische weltöffentliche Verleumdung. Nebenschwerpunkt wird auf die Passivität bzw. Kooptation wichtiger Lokaleliten gelegt, die sich der Dramaturgie von zivilen Unruhen als Werkzeug für Macht-Absicherung/Weiterausbau bedient haben, aber bald ihre Hebelwirkung gegenüber vom Kreml diktierten Oberdynamik verspielten. Akzentuiert wird auch die unzulängliche Reaktion der internationalen Gemeinschaft angesichts der russländischen Aggression, die seit 2022 zu großangelegtem Angriff eskalierte. Die Analyse verdeutlicht die dringende Umgestaltung der Osteuropastudien durch methodische De-Imperialisierung, konzeptuelle Kontextualisierung/ Neuauslegung, Forschungsoffenheit für (post-/de-)koloniale Situationen, Wissensproduktion-Dezentrierung und Revision politisch-geographischer Konstrukte, zeitgleich mit kultureller, politischer und historiographischer Wertschätzung der Ukraine, aber auch Aktivunterstützung ihres Widerstands gegen ‘die Russische Welt’, die atavistischen Expansionswahn, primitive Geopolitik, zynische Polittechnologien und genozidale Terrordystopie mit sich bringt.