Die Poetik der Erschaffung des Selbst in der sowjetisch-ukrainischen modernistischen Literatur
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Bohdan Tokarskyi
Bohdan Tokarskyi arbeitet an zwei literaturwissenschaftlichen Teilprojekten, die sich mit der subversiven politischen Kraft kleiner Literaturen durch unkonventionelle künstlerische Sprache und temporale Diskontinuitäten befassen. Sein Buchprojekt über die Werke des sowjetisch-ukrainischen Dichters und Dissidenten Vasyl Stus (1938-1985) erkundet die Poetik radikaler Subjektivität und das Streben nach Authentizität, mit der Stus, als Oppositioneller und Gulag-Häftling die ästhetische und politische Ordnung der Sowjetunion infrage stellte.
Das Vorhaben möchte Stus‘ radikale Introspektion, seine innovative Art der lyrischen Selbstadressierung sowie seine idiosynkratischen Neologismen und die Verflechtung von Poesie und Philosophie, aber auch seine zahlreichen Bezugnahmen auf literarische und philosophische Traditionen als einzigartige Stimme der europäischen und sowjetischen Kultur in dieser Zeit zeigen. Darüber hinaus erkundet Tokarskyi das fragmentierte Selbst in der Literatur des (sowjetisch-) ukrainischen Modernismus der 1920er-Jahre, das im Spannungsfeld von kommunistischer und sowjetischer, aber auch ukrainischer und europäischer Identitätskonstrukte verortet wird und damit auch die Frage nach der historisch-kulturellen Identität der sowjetischen Ukraine dieser Zeit widerspiegelt.
Sowohl Tokarskyis Untersuchungen zu Stus‘ Arbeiten als auch seine Studien zum ukrainischen Modernismus thematisieren unterschiedliche Formen von Ungleichzeitigkeit. Besondere Beachtung erfahren dabei das Verhältnis von Tradition und Innovation und eine faszinierende Verbindung von Alt und Neu. Sie zeigt sich etwa in der eindrucksvollen Kombination barocker, modernistischer und poststrukturalistischer Elemente in Stus‘ Werk, aber auch in der hybriden Ästhetik des ukrainischen Modernismus, die moderne Motive mit nationalen literarischen Traditionen und volkstümlichen Elementen verbindet. Darüber hinaus widmet sich das Projekt dem Dialog zwischen den literarischen Entwicklungen in der Ukraine und den kulturellen Praktiken in Ost-, Mittel- und Westeuropa.