Russischer Faschismus – Europäische Herausforderung

Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Erik Martin

zur Person
Banner der russisch-orthodoxen Faschisten, aus: Горячкин, Ф. Т. Первый русский фашист Петр Аркадьевич Столыпин / Ф. Т. Горячкин. – Харбин : Тип. „Меркурий“, 1928.

„Russischer Faschismus“ ist einerseits eine recht etablierte analytische Begriffsbildung, um den Putinismus spätestens seit der Annexion der Krim zu beschreiben. Andererseits diese Gleichung global gesehen unzureichend, wie überzeugend die Parallelen zwischen dem Putisnismus und dem Faschismus in Einzelnen sein mögen.

Ziel meiner Untersuchung ist es, diese Inkonsistenzen mit dem Begriff der Ungleichzeitigkeit heuristisch zu fassen und zu analysieren. Dies erscheint umso aussichtsreicher, als dass eine der zentralen Quellen für den Ungleichzeitigkeiten-Begriff, nämlich Ernst Blochs Sammlung von Essays Erbschaft dieser Zeit, eine Auseinandersetzung mit dem historischen Faschismus darstellt.

Drei Aspekte des Putinismus als Faschismus sollen im Projekt mit dem Ungleichzeitigkeitenbegriff beleuchtet werden. Zunächst der politische, bzw. der systemische Aspekt des Putinismus. Von den „klassischen“ historischen Faschismen unterscheidet sich der Spätputinismus dadurch, dass es sich bei ihn um einen „invertierten Totalitarismus“ (Wolin 2003) handelt. Während der Faschismus der Zwischenkriegszeit in seinem Idealtypus als Massenbewegung „von unten“ inszeniert wurde, erfolgte der Wandel vom Autoritarismus zum Quasi-Totalitarismus in der Russischen Föderation „von oben“

Der zweite Aspekt untersucht die Rezeptionslinien des „realen“ russischen Faschismus nach 1917 (etwa die All-Russische Faschistische Partei in Mandschukuo 1930–40) im Putinismus als „unbewältigten Winkel“ (Bloch 1985, 51) der geschichtlichen Aufarbeitung.

An dieses unbewältigte geschichtliche Trauma schließt der dritte Aspekt an, nämlich das Ressentiment: Der Putinismus ist von Ressentiment geprägt – seine aggressiven Überlegenheitsfantasien gehen mit Selbstviktimisierung einher. Mit den Globalen Rechten teilt der Putinismus die Auffassung, unfair behandelt worden zu sein und sieht seine Aggression als gerechtfertigte Reaktion an.