Life Writings of Queer Artists from the Russian Empire and the Soviet Union, 1900s–1960s
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Pavel Golubev

Dieses Projekt untersucht das Zusammenspiel literarischer und künstlerischer Praktiken queerer modernistischer Künstler im Russischen Reich (Sowjetunion), seinen Kolonien und der russophonen Diaspora. Es kombiniert textanalytische und kunsthistorische Methoden zur Erforschung ihrer „life writings“ – darunter Tagebücher, Biografien, Memoiren und Korrespondenzen. Die Untersuchung zeigt, wie queere Künstler ihre Erfahrungen mit Sexualität reflektierten und genderbezogene Narrative in ihren persönlichen Aufzeichnungen verankerten. Gleichzeitig wird analysiert, wie diese Themen in ihren Werken visuell dargestellt werden, wodurch sich neue Verbindungen zwischen schriftlichen und bildlichen Ausdrucksformen offenbaren.
Die Auswahl der Künstler und ihrer Texte erstreckt sich über verschiedene Zeiträume, um ästhetische und textuelle Asynchronien zu verdeutlichen. Das Projekt bringt bislang unveröffentlichte literarische Dokumente sowie unbekannte oder übersehene Kunstwerke in den wissenschaftlichen Diskurs ein und eröffnet neue Perspektiven auf die queere russische Kultur und den internationalen Modernismus.
Ein zentrales Element dieses Forschungsprojekts ist das Tagebuch des Künstlers Konstantin Somov (1869, St. Petersburg–1939, Paris) – eines der umfangreichsten und bedeutendsten Dokumente der queeren russischen Kulturgeschichte. Eine vollständig kommentierte Edition, deren vier Bände zwischen 2017 und 2022 veröffentlicht wurden, umfasst Somovs alltägliche Aufzeichnungen von 1917 bis 1929. Die Edition, die breite Anerkennung gefunden und von Fachleuten positiv rezensiert wurde, befindet sich derzeit auf halbem Weg zur Fertigstellung: Die letzten zwei Bände von Somovs detailliertem homoerotischem Tagebuch, das seine Jahre in Paris von 1930 bis 1934 umfasst, sollen während des Forschungsaufenthalts in Potsdam abgeschlossen werden.
In der frühen Zwischenkriegszeit begann Pavel Tchelitchew (1898, Kaluga Gebiet, Russland–1957, Grottaferrata, Italien) seine künstlerische Laufbahn in der Ukraine und positionierte sich im Kontext des internationalen Modernismus. Seine Korrespondenz und andere persönliche Schriften, die in der Yale University aufbewahrt werden, dokumentieren seine künstlerische Entwicklung und sein Leben in Deutschland, Frankreich und den USA.
Ebenso bemerkenswert sind die Lebenszeugnisse von Sergei Kalmykov (1891, Samarkand, Usbekistan–1967, Almaty, Kasachstan), die durch ihre außergewöhnliche und teils paradoxe Natur faszinieren. Sie eröffnen tiefgehende Einblicke in genderbezogene Themen und spiegeln zugleich Kalmykovs Suche nach einem radikalen und freien künstlerischen Ausdruck wider – ein Streben, das er trotz seiner Isolation und Selbstmarginalisierung während seines internen Exils in Südkasachstan von den 1930er- bis in die 1960er-Jahre unbeirrt verfolgte.